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Das Geheimnis der Qumranrollen - Teil V

Weihnachten im Licht der Schriftrollen vom Toten Meer

Die Schriftrollen, die zwischen 1947 und 1956 bei Qumran (am NordWest-Ufer des Toten Meeres) gefunden wurden, gelten als die größte archäologische Entdeckung aller Zeiten. U. a. wurden dort die ältesten hebräischen Bibelabschriften der Welt entdeckt aber auch bisher unbekannte Texte des antiken Judentums, genauer gesagt einer Strömung des Judentums - der Essener. Sie waren zur Zeit Jesu neben Pharisäern und Sadduzäern eine der großen Religionsparteien im Heiligen Land. Durch diese antiken Texte liegt uns gleichsam ein Spiegelbild eines Teils des antiken Judentums vor. Wir lernen zu erkennen, wie ein Teil der jüdischen Gesellschaft dachte und seinen Glauben lebte.

"...und den Menschen ein Wohlgefallen ?"

Wie die Qumrantexte gelegentlich direkt helfen können, einzelne Dinge im Neuen Testament besser zu verstehen, soll an der vertraute Weihnachtsbotschaft des Evangelisten Lukas, die wir alle am Heilig Abend wieder hören, illustriert werden. Der Lobgesang der Engel beginnt in Lukas 2,14 mit den Worten: "Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden ..." - bis hierher stimmen die verschiedenen Bibelausgaben alle überein. In der alten Lutherausgabe heißt es weiter: "... Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen". In der neuen revidierten Lutherbibel heißt es hingegen: "Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens". In katholischen Übersetzungen kann man sogar noch eine dritte Version lesen: "Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden bei den Menschen guten Willens". Wie erklären sich diese unterschiedlichen Wiedergaben? Es fängt damit an, dass die griechischen Handschriften des Neuen Testamentes an dieser Stelle von einander abweichen - zwar nur in einem Buchstaben - aber der bewirkt einen gewaltigen Unterschied. "... bei den Menschen des Wohlgefallens" heißt auf Griechisch: '...en antropois eudokias'. Fehlt der letzte Buchstabe - das 's' von eudokia (Wohlgefallen) muß man übersetzen: "...und den (allen) Menschen ein Wohlgefallen". Einen solchen griechischen Text benutzte Luther bei seiner Übersetzung. Heute liegen aber viel ältere Handschriften vor, als seinerzeit Luther. Von diesen alten Handschriften her sind sich die Forscher eigentlich alle einig, dass der ursprüngliche Text lautet: "Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden bei den Menschen des Wohlgefallens" . Damit ist man sich über den Text einig - aber was heißt das nun eigentlich?

Die Wendung "Menschen des Wohlgefallens" hört sich im Deutschen ungewöhnlich an. Man fragt doch, wessen Wohlgefallen es denn sei? Auch schon sehr viele frühe griechische Abschreiber hatten ebenso Mühe, den zu Grunde liegenden - völlig ungriechischen (!) Ausdruck - ' en anthropois eudokias' zu verstehen. Sehr beliebt ist jedoch eine solche Wendung in den semitischen Sprachen, im Hebräischen des Alten Testaments so gut wie heute noch etwa im Arabischen. Ein Sechzigjähriger heißt ein "Sohn von 60 Jahren", ein Soldat ein "Mann des Krieges" und ein Lügner ein "Mensch der Lüge" (im Deutschen kennen wir in gehobener Sprache den Ausdruck: "Er ist ein Kind des Todes"). Eine genaue Parallele zu der Wendung "Menschen des Wohlgefallens" gab es aber weder im Alten Testament noch sonst irgendwo in einem hebräischen oder aramäischen Text. In den Qumrantexten taucht diese Wendung aber nun fast wörtlich auf. In den Lobliedern aus Höhle 1 ist zweimal von den "Söhnen seines - nämlich Gottes - Wohlgefallens" die Rede . Gemeint sind nach dem dortigen Zusammenhang ganz eindeutig Menschen, an denen Gott Wohlgefallen hat, die Er erwählt und berufen hat. Die Lutherübersetzung übersetzt also sinngemäß sehr richtig: "Frieden auf Erden bei den Menschen seines - also Gottes - Wohlgefallens". In diesem Sinne gibt auch die Brunsbibel diese Stelle ganz hervorragend wieder: "Herrlichkeit ist bei Gott in den Höhen der Himmel, und Friede auf Erden unter den Menschen, an denen Gott Wohlgefallen hat".

Das ist auch inhaltlich eine sehr wichtige Erkenntnis, denn es geht bei dem Lobgesang der Engel nicht um einen allgemeinen Weltfrieden. Den gab es weder zur Zeit Jesu (man denke nur an den Kindermord des Herodes in Bethlehem) noch heute. Der Friede Gottes wird bei allem Haß und Streit in der Welt denen verheißen, auf denen Gottes Wohlgefallen ruht. Im Gegensatz zu den Qumranleuten, die das Wohlgefallen nur auf ihre Gemeinschaft bezogen, meint der Lobpreis der Engel aber alle Menschen!! Denn nun ist ja Jesus in Bethlehem gerade Mensch geworden, wie alle Menschen. Und sein Weg wird ihn dorthin führen, wo er als das "Lamm Gottes der Welt Sünde trägt" (vgl. Joh. 1,29). Darum will Gott auch, dass "alle Menschen gerettet werden, und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen" (1.Timoth. 2,4). Will ich das auch?

Legende oder wahrer Bericht?

Die Geburtsgeschichte des Lukas gehört zu den besonders hart umkämpften Stellen der Bibel. Es wird immer wieder behauptet, es handle sich hier erst um sehr späte Legenden, die weit außerhalb von Palästina gebildet worden seien, und dass die Heidenchristen, als sie diese 'Legenden' hinschrieben, von heidnischen Vorstellungen beeinflußt gewesen seien. Der inhaltliche Vergleich mit den Qumrantexten zeigt nun aber, dass es sich ganz anders verhält!! Der Neutestamentler und Qumranforscher Prof. Rainer Riesner von der UNI Dortmund verweist deshalb darauf, dass es sich hier gerade um keine Legende handle, die irgendwelche Heidenchristen, die sich vom Heidentum noch nicht völlig gelöst haben, niedergeschrieben haben. Der Text zeige ganz im Gegenteil, dass es sich um einen hebräischen und nicht um einem heidnischen Hintergrund handelt, so der Forscher.

Dem Bericht des Lukas sollte deshalb mit mehr Vertrauen begegnet werden. Er selber versichert ja, dass er die befragt hat, die von Anfang dabei gewesen waren: "Schon viele haben den Versuch gewagt, einen Bericht über die Geschehnisse zusammenzustellen, die unter uns erfüllt wurden, so wie sie uns die ersten Augenzeugen überliefert haben, die von Anfang an dabei waren und dann dem Wort gehorsam wurden, das an sie erging. Ebenso habe auch ich mich entschlossen, allen diesen Begebenheiten bis zu ihren ersten Ausgangspunkten genau nachzuforschen und sie der Reihe nach für dich, verehrter Theophilus, aufzuschreiben. Auf diese Weise sollst du klar erkennen, wie wahr und zuverlässig das ist, worin man dich unterwiesen hat" (Lukas 1, 1-4 nach der Brunsübersetzung). Von den Hirten, die die Botschaft der Engel gehört hatten, heißt es weiter: "Und sie kamen eilend und fanden Maria und Josef und das Kindlein in der Krippe. Nachdem sie es gesehen hatten, sagten sie das Wort, das sie über das Kind gehört hatten, weiter. Und alle, die davon hörten, waren betroffen von dem, was ihnen die Hirten sagten. Maria aber behielt diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen" (Lukas 2,15b-19). Der Evangelist Lukas hat diese Engelsbotschaft von Maria oder sogar von den Hirten bei seinen Nachforschungen mitgeteilt bekommen. Und diese Worte sind uns korrekt überliefert. Aus dem Hebräischen sind sie direkt in ein untypisches Griechisch übersetzt worden.

Aber bei diesen Feststellungen über die Glaubwürdigkeit der neutestamentlichen Berichte möchte ich nicht stehenbleiben. Denn einem jedem von uns stellt sich die Frage: Folge ich dem Ruf, wie einst die Hirten in Bethlehem? Habe ich die Einladung persönlich angenommen, das Gott "Wohgefallen" an mir hat, so sehr, dass ER seinen Sohn auch für mich gesandt hat? Diese Erfahrung wünsche ich jedem Leser von Herzen.