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Das Geheimnis der Qumranrollen - Teil III

Jesus & Qumran

Bis heute ziehen die spektakulären Schriftrollenfunde vom Toten Meer Wissenschaftler und Laien auf der ganzen Welt in ihrem Bann. Unter den Qumrantexten, die man zwischen 1947 und 56 am Nordwestufer des Toten Meeres entdeckt hatte, befinden sich nicht nur die ältesten Bibelabschriften der Welt sondern auch bisher völlig unbekannte jüdische Literatur. Obwohl die Qumrantexte aus der Zeit vor dem Wirken Jesu von Nazareth stammen, erhoffte sich die Wissenschaft neue Erkenntnis für die Zeit, in der das Christentum entstanden ist. Verständlich, dass das öffentliche Interesse an den Rollenfunden von Anfang an sehr gross war. Allerdings vermischte sich die Wissenschaft in der Folge häufig mit Phantasie. Die Qumranrollen blieben nicht nur Gegenstand solider Forschung, sondern wurden auch zum Inhalt einer sich wissenschaftlich gebenden, polemischen Literatur, die die Einzigartigkeit Jesu und somit auch das Christentum mit den absurdesten Thesen in Frage stellt. Eine Fülle von unqualifizierten Veröffentlichungen und sensationshungrigen Spekulationen in den Medien stifteten und stiften noch immer viel Verwirrung. Pure Erfindung und Lüge sind an die Stelle der Forschung getreten. Hypothesen werden zu Wahrheiten verdreht", Meinungen als "sichere" Urteile ausgegeben.

Es gibt keine "Geheimakte Jesus"!

Am erfolgreichsten war der Reisser "Verschlußsache Jesus" der amerikanischen Journalisten Baigent und Leigh, die zusammen mit Robert Eisenman, die schwierige und komplizierte Editionsarbeit an den zigtausenden Qumranfragmenten als Vatikanverschwörung ausgaben, die angeblich das Ziel hätte geheime Informationen über Jesus zurückzuhalten (auf dieser These baut auch der Bestseller "Sakrileg" auf). Nachweislich hatte der Vatikan nicht eine Minute etwas mit der Herausgabe der Qumranrollen zu tun gehabt - dies ist alleine Angelegenheit der Israelischen Antikenverwaltung! Alle Texte sind der Wissenschaft und jedem Laien zugänglich. 2001 erschienen die letzten Texte in der wissenschaftlichen Editionsreihe "Discoveries in the Judean Desert" ( siehe bei amazon ). Auch in deutscher Übersetzung liegen die Qumrantexte vor (siehe amazon.de).

Eine Unterdrückung von Qumranschriften durch den Vatikan hat es nie gegeben. Die Qumranrollen erzählen auch nicht in verschlüsselter Form von Jesus, Paulus oder den Urchristen. Völlig zu Recht urteilt der Dortmunder Neutestamentler Universitätsprofessor Rainer Riesner: "Die Bücher von Robert Eisenman und Barbara Thiering, die das behaupten, gehören trotz der Professorentitel ihrer Autoren zur Literaturgattung der Schundmärchen." Alle Versuche in den Qumranschriften christliche Dokumente sehen zu wollen, scheitert schon an dem einfachen Sachverhalt, dass die allermeisten Schriften aus dem 3. - 1. Jahrhundert vor Chr. stammen. Dies wurde durch zwei unabhängige radioaktive Untersuchungen in Zürich 1990 und Tuscon (Arizona/USA) 1994 eindeutig bestätigt. Schriften, die lange vor Jesu Lebzeiten aufgeschrieben wurden können nun mal keine "Geheiminformationen" über die Urchristenheit enthalten. Nach überwiegender Forschermeinung entstammen diese Texte der jüdischen Religionspartei der ESSENER, die in Qumran eines ihrer Zentren z.Zt. Jesu unterhalten haben. Wer sich für die Entstehung und Lehren dieser besonders strengen jüdischen Glaubensgemeinschaft interessiert, der sei auf den Dokumentationsband "Faszination Qumran - Wissenschaftskrimi, Forscherstreit und wahre Bedeutung der Schriftrollen vom Toten Meer" (Bielefeld 2. Auflage 1999) verwiesen, wo ausführlich die Lehren der Essener behandelt werden. Das auffallendste Kennzeichen dieser Gemeinschaft war ihre besonders strenge und sehr orthodoxe Interpretation der mosaischen Gesetze. Für die Essener stand vor allem die Heiligung des Sabbat an oberster Stelle. Noch nicht einmal der Gang zum WC war den Mitgliedern am Sabbat gestattet, denn die Verrichtung der Notdurft war nach ihrer Auffassung bereits ein Bruch des Feiertagsgebots. Obwohl nirgendwo in den Schriftrollen vom Toten Meer Jesus direkt vorkommt, haben diese Schriften der Essener eine große Bedeutung für die Erforschung des Neuen Testaments - sie werfen in etlichen Fällen ein neues Licht auf die Bibel.

Neues Licht auf die Evangelien

In Matthäus 5,43 sagt Jesus: "Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen." Haben Sie das Alte Testament schon einmal nach dieser Stelle durchsucht? Sie werden dies Wort so nicht finden. In 3. Mose 19,18 heisst es: "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst; ich bin der HERR." Für das Gebot des Feindeshasses aber gibt es weder im Alten Testament noch in der jüdischen Traditionsliteratur einen Beleg. Worauf nimmt Jesus hier also Bezug? Ist diese Passage vom Evangelisten Matthäus vielleicht nur erdichtet worden, oder ist diese Aussage korrekt überliefert worden? Wer vertrat so eine Ansicht?

Die Qumrantexte geben darüber Aufschluss und zeigen, dass diese Worte Jesus absolut authentisch überliefert worden sind. In der sog. "Gemeinderegel", die das Leben der Essener untereinander genau regulierte, findet sich die Aufforderung zum Feindeshass gleich mehrmals. Die Mitglieder der Gemeinschaft werden darin aufgefordert: " ... alle Söhne des Lichtes zu lieben, ... aber alle Söhne der Finsternis zu hassen." Als Söhne des Lichtes verstanden sich die Essener selber. Alle, die nicht zu ihnen gehörten, wurden zu den Söhnen der Finsternis gerechnet. Diese Forderung der Essener nach dem Feindeshass war also allgemein in Israel bekannt, stellten sie doch mit 4000 Mitgliedern die zweitgrösste Religionspartei dar, neben den Pharisäern mit 6000 Mitgliedern. Gegen dieses Gebot des Feindeshasses wendet sich Jesus in der Bergpredigt ganz vehement! Durch die Qumrantexte sind uns die Zeitgenossen Jesu entgegengetreten, die er in der Bergpredigt direkt angesprochen hat. So gesehen sind die Schriftfunde vom Toten Meer ein wahrer Glücksfall. Sie zeigen nämlich, dass die Berichte in den Evangelien und in der Apostelgeschichte einem jüdischen Hintergrund entstammen und historisch korrekt überliefert sind.

Aber diese Texte machen auch deutlich, dass die befreiende Botschaft von Jesus Christus in einem scharfen Gegensatz zu den Lehren der Essener steht, die man mit Asketentum, Gesetzlichkeit , Ritualismus und Exklusivität skizzieren könnte. Bei den Mahlzeiten der Qumranbewohner war es zum Beispiel verboten, dass Krüppel, Lahme oder Blinde daran teilnahmen. Die Evangelien dagegen sind voll von Berichten, die schildern, wie Jesus gerade zu den Kranken und Ausgestossenen der Gesellschaft geht (Lukas 5, 27-37). Undenkbar für die so auf Reinheit bedachten Leute von Qumran.

Ein anderes Beispiel: Den Essenern war es verboten am Sabbat einen Ochsen aus einer Grube zu holen, in die er hineingefallen war. In der sog. Damaskusschrift steht: "Wenn ein Vieh am Sabbat in einen Brunnen oder eine Grube fällt, so soll man es am Sabbat nicht wieder herausholen." Auch der Mensch hatte unter dieser rigoros gesetzlichen Interpretation zu leiden. Um den Feiertag nicht zu entheiligen, durfte man dem Verunglückten nicht heraushelfen - lediglich das Zuwerfen eines Strickes war gestattet. Wie anders hat dagegen Jesus gehandelt! Die Essener haben bestimmt gegen Jesu Feststellung gemurrt, dass "der Sabbat um des Menschen willen geschaffen sei und nicht der Mensch um des Sabbats willen" (Markus 2,27), denn wie oben bereits erwähnt, stand die Sabbatheiligung an erster Stelle.

Lebte Jesus in Qumran?

Die Berichte der Evangelien zeigen eindeutig, dass Jesus nicht nur die Lehren dieser Gemeinschaft sondern auch ihr Verhalten total ablehnte. Der jüdische Geschichtsschreiber Flavius Josephus berichtet von den Essenern: "Öl halten sie für Schmutz, und wenn einer wider seinen Willen gesalbt worden ist, so wischt er seinen Körper ab. Denn eine rauhe Haut zu haben gilt ihnen als ehrenvoll." Jesus dagegen liess sich von Maria in Bethanien mit kostbarem Öl salben, weil er sah, dass sie sich nach dem Frieden mit Gott sehnte (vgl. Joh. 12,1-8).

Bei einem Vergleich der Qumrantexten mit dem Neuen Testament wird sehr deutlich, dass Jesus niemals ein Mitglied dieser Gemeinschaft war oder gar seine "Lehrjahre" in Qumran verbracht habe. Viele, die sich zum ersten Mal mit den Qumranfunden beschäftigen sind tief beeindruckt und oft auch verwundert, dass die Sprache der Qumranschriften und die des Neuen Testaments sich nahe stehen. Jesus fordert uns auf "Söhne des Lichts zu werden" - die Essener bezeichneten sich selber als "Söhne des Lichts". Nur dürfen diese sprachlichen Ähnlichkeiten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die jeweiligen Botschaften sich völlig diametral gegenüber stehen. Die Essener und die frühen Christen waren "bibelfeste" Leute. Sie kannten sich in ihrer Bibel (unser Altes Testament) bestens aus. Hier liegt der gemeinsame jüdische Mutterboden. Nur die Interpretation der mosaischen Gesetze war eben völlig verschieden. Da lagen Welten dazwischen.

Wenden wir uns noch einmal dem Feindeshass zu, den Jesus in der Bergpredigt anspricht. Ganz im gegengesetzen Sinne der Essener fordert Jesus seine Zuhörer auf: "Liebet eure Feinde; betet für eure Verfolger! ... Denn wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, was hat das für einen Wert? Das tun auch die Zöllner. Und wenn ihr nur euren Brüdern freundlich seid, was ist das Besonderes?" (Matthäus 5,43f).

Schon diese Stelle zeigt eindeutig, dass es unmöglich ist, Jesus Christus zu einem "Qumraner" zu machen. Jesu Botschaft und die Lehren der Qumran-Essener stehen in einem scharfen Kontrast zueinander. Die Essener gibt es nicht mehr, und Qumran ist nur noch ein Steinhaufen, eine Ruine. Die Botschaft Jesu Christi dagegen gilt unverändert - weltweit - auch nach 2000 Jahren. In der Bibel heisst es: "Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen" (Matth. 24,35). Die Qumrantexte können uns eine Hilfe sein, einiges aus der Zeit Jesu besser zu verstehen. Deshalb haben sie auch für uns Christen eine besondere Bedeutung. Aber inhaltlich bleiben sie, was sie sind: Gedanken im Geist dieser vergehenden Welt, in der sich Menschen ihre Gedanken über Licht und Finsternis machen. Bei Jesus ist das völlig anders. Er sagt: "Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis , sondern wird das Licht des Lebens haben" (Joh. 8,12).

"Nie hat ein Mensch gesprochen wie dieser"

Jesus Christus übertraf mit seinem Messiasanspruch alle zeitgenössischen Erwartungen. Der Eindruck, den er auf Tausende seiner Zeitgenossen machte bestätigt sich beim Vergleich der Lehren von Qumran und der Botschaft Jesu Christi erneut: "Was ist das für eine neue Lehre?" (Markus 1,27). "Es bleibt noch immer wahr, wie es damals war, wie es damals war, dass nie ein Mensch gesprochen hat wie dieser" (Joh. 7,46). Jesus Christus war niemals ein Essener, auch wenn diese falsche Behauptung immer wieder aufgestellt wird. Man muss schon sehr genau lesen, was in den Qumranrollen eigentlich steht und dann mit der frohen Botschaft des Neuen Testaments vergleichen. Eins wird deutlich: Es sind zwei Welten, die sich gegenübestehen: dort in Qumran die Welt des Gesetzes und der Gesetzlichkeit, in ihrem Ernst aus eigener Kraft Gott wohlgefällig zu werden - hier in Jesus Christus die Welt der frohem Botschaft mit seiner Verkündigung der Liebe des heiligen Gottes, für die er mit seinem Leben und Sterben selber einsteht. Dies war völlig ausserhalb des Denkens von Qumran. Die aufgezeigten Unterschiede widerstreiten allen Versuchen den christlichen Glauben als eine Abart des Essenismus anzusehen oder in Qumran die Wiege des Chrsitentums erblicken zu wollen. Diese Deutung scheitert vor allem an einem wesentlichen Sachverhalt. Die Rollen vom Toten Meer zeigen, daß in Qumran eine gespannte Erwartung existierte, nicht nur allgemein auf die Wende der Zeiten sondern auf das Kommen messianischer Gestalten. Für die jüdischen Frommen in Qumran war es nicht bloß fünf -sondern sogar eins vor zwölf. Unter den Qumrantexten findet sich aber kein einziger, der verkündet, was wir bald auf jeder Seite des Neuen Testamentes lesen:

Das Warten ist zu Ende, der Messias ist schon da und sein Name lautet Jesus Christus.


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