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DAN BROWNS „SAKRILEG” - Ein Interview aus Sicht der Leonardoforschung

Interview mit dem Kunsthistoriker und Leonardoforscher Professor Frank Zöllner (Universität Leipzig).

Anlässlich des Filmstarts von Dan Browns „Sakrileg” (Da-Vinci-Code) sind im folgenden die wichtigsten Fragen zu Dan Browns Roman und seiner Verfilmung beantwortet und auf den Internetseiten der Universität Leipzig veröffentlicht worden.

Interview

Alexander Schick: Brown spricht häufig von „da Vinci” (u.a. „Sakrileg”, S. 66ff, 165). Im Original lautet sein Roman „The Da Vinci Code”. War „da Vinci” der Nachname des grossen Künstlers, wie es Brown auffasst? „Da Vinci” hört sich doch vielmehr nach einer Ortsbezeichnung an, die man an einen Namen anfügte. So ja auch schon im Neuen Testament bei „Maria Magdalena”, was bedeutet, Maria aus Magdala.

Prof. Frank Zöllner: Im 15. Jh. waren Nachnahmen im heutigen Sinn nicht verbreitet, so dass man zur besseren Unterscheidung der Personen Ortsnamen verwandt, also z.B. Leonardo da Vinci, d.h. Leonardo aus dem Ort Vinci, oder auch Leonardo di Ser Piero da Vinci, d.h. Leonardo, der Sohn des Herrn Piero aus Vinci.

 Alexander Schick: Mona Lisa und ihr geheimnisvolles Lächeln wird von Dan Brown auf folgende Weise interpretiert: „Der Hintergrund hinter dem Gesicht verläuft nicht gerade. Da Vinci hat den Horizont auf der linken Seite niedriger gemalt als das auf der rechten ... Indem er die Landschaft auf der linken Bildseite tiefer gesetzt hat, lässt er die dargestellte Person bei der Betrachtung von links deutlich grösser erscheinen. Da Vinci hat sich hier einen kleinen Scherz für Kenner erlaubt. Das Männliche und das Weibliche haben traditionsgemäss bestimmte Seiten - links für weiblich und rechts für männlich. Als grosser Verehrer des Weiblichen hat Leonardo die Mona Lisa so gemalt, dass sie von links majestätischer erscheint als von rechts” (S. 165). Herr Prof. Zöllner, Sie gelten als der Kunstexperte für Leonardos Wirken und sind Verfasser eines Standardwerkes über ihn (Leonardo da Vinci, Sämtliche Gemälde und Zeichnungen, Köln 2003). Hat sich Leonardo einen „kleinen Scherz für Kenner” erlaubt? Stimmen Sie mit der Interpretation von Brown überein?

Prof. Frank Zöllner: Leonardo liebte Scherze, aber nur solche, die man damals verstehen konnte. Mit majestätischen Frauen hatte er sicher nichts im Sinn. Ganz im Gegenteil: Leonardo war ein Mysogonist, also jemand, der Frauen eher verachtet als verehrt. Die Ansicht dass es eine männliche und weibliche Seite gebe, war ihm sicher nicht geläufig, lediglich die traditionelle Auffassung, dass das Männliche heraldisch gesehen rechts liegt. Daher zeigt die Mona Lisa dem Betrachter ihre linke, die weibliche Seite, so wie es in den meisten Frauenporträts jener Zeit üblich war.

Alexander Schick: Die Bezeichnung „Mona Lisa” erklärt Dan Brown seinen Lesern so: „Amon war der ägyptische Gott der Fruchtbarkeit ... und als weibliches Gegenstück [gab es] die Göttin Isis. In der altägyptischen Bilderschrift heisst sie L'ISA”. Zusammengeschrieben würde dies „MONA LISA” ergeben. Dan Brown: Nicht nur das Gesicht der Mona Lisa trägt androgyne Züge, auch ihr Name ist ein Anagramm auf die göttliche Vereinigung des Männlichen mit dem Weiblichen ... [dies] ist da Vincis kleines Geheimnis und zugleich der Grund für das wissende Lächeln der Mona Lisa” (S. 166f.). Lässt sich der Name Mona Lisa auf die ägyptischen Götter Amon und Isis zurückführen? Hat Leonardo sein Gemälde so bezeichnet?

Prof. Frank Zöllner: Unsinn! Gemälde erhielten im 15. u. 16. Jahrhundert keine Titel oder Unterschriften von Künstlern (das kam erst viel später). Die Mona Lisa verdankt daher ihren Namen auch nicht Leonardo selbst, sondern dem Künstlerbiographen Giorgio Vasari im Jahre 1550, 21 Jahre nach Leonardos Tod. Ausserdem hatte Leonardo nicht die geringste Ahnung von Amon und Isis. Wenn man auf den schönen Busen der Mona Lisa schaut, kann man wirklich nicht glauben, dass Mona Lisa androgyn sein solle. Das Gesicht ist es auch nicht. Vielleicht ist Dan Brown homosexuell und sieht in jedem Frauenbild einen Mann?

Alexander Schick: Eine Schlüsselstellung in Sakrileg nimmt das berühmte Fresko von Leonardo ein, das sog. „Letzte Abendmahl”. Brown behauptet, dass a) zur Rechten Jesu nicht der Jünger Johannes, sondern eine Frau sitzen würde und zwar Maria Magdalena (S. 333ff.). Stimmt dies? Ist da eine Frau dargestellt? Gab es andere Gemälde, wo Jünglinge in dieser „weiblichen” Art dargestellt wurden? Ist dies ein Ausdruck seiner Zeit?

 Prof. Frank Zöllner: Die Darstellung des Johannes folgt dem damals üblichen Typus, an Leonardos Darstellung ist in dieser Hinsicht nichts ungewöhnlich. Ausserdem wäre es für einen Künstler des 15. Jhs. völlig undenkbar, in einem Abendmahl eine Magdalena darzustellen!

Alexander Schick: b) Jesus und die Person zu seiner Rechten würde eine „eindeutige V-Form im Brennpunkt des Gemäldes” ergeben. Für Brown ein verstecktes Zeichen für den Gral, für den weiblichen Schoss (S. 335).

Prof. Frank Zöllner: Eine V-Form finden Sie heute noch auf zahlreichen Verkehrsschildern, sie haben also jede Bedeutung, die man ihnen gibt. Leonardo wusste mit Sicherheit von keinem Gral, der in der V-Form ausgedrückt sei. Ausserdem hat eine dreieckige Lücke (V-Form) in einem Bild nicht zwangsläufig irgendeine Bedeutung. Es gibt Tausende solcher Lücken in Gemälden! Eine Lücke zwischen zwei Figuren in einem Gemälde ist eben nicht mehr als eine Lücke zwischen zwei Figuren. Ausserdem steht das V natürlich für "victoria" (victory), schon Winston Churchill wusste das!

Alexander Schick: c) Die Personen um Jesus herum würden einen weiteren Buchstaben, ein „M” ergeben, das für Martrimonium (= Ehe) oder Maria Magdalena stehen könnte (S. 336).

Prof. Frank Zöllner: Der Buchstabe „M”, den ich dort nun wirklich nicht sehe, kann auch für Marsmellows stehen, eine bei Kindern beliebte süsse Kaumasse, die Leonardo ebenso wenig kannte wie ein „Matrimonium” der Magdalena.

Alexander Schick: d) Nach Brown sei der Jünger Petrus eifersüchtig auf Maria gewesen. Dies würde sich auch im Fresko widerspiegeln, wo man eine Hand bei der Person zur Rechten Jesu sähe, „mit einer drohenden Geste, als wolle er ihr die Kehle durchschneiden”. Diese Drohgebärde sei auch in dem Bild Leonardos „Felsengrottenmadonna” zu sehen (S. 340).

Prof. Frank Zöllner: Die Drohgebärde des Petrus gilt natürlich dem Verräter Judas, denn es geht in dem Gemälde ja um die Verratsankündigung, d.h. darum, dass einer der Jünger Christus verraten wird.

Alexander Schick: e) In der Apostelgruppe um Petrus rage eine „Hand über die Tischkante, die ein Messer halte, das „zu niemanden zu gehören” scheint. Sie sei „ohne Körper, anonym” (S. 340f).

Prof. Frank Zöllner: Es ist die Hand des Petrus, wie man auf frühen Kopien des Bildes noch gut erkennen kann.

Alexander Schick: f) Für Brown ist seine Interpretation vom Letzten Abendmahl eine „erdrückende Last von unglaublichen Informationen” (S. 341).

Prof. Frank Zöllner: Völliger Unsinn! Erdrückend muss irgendwas in Browns Psyche sein.

Alexander Schick: Herr Prof. Zöllner, haben Sie herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, um diese Fragen den Lesern zu beantworten.

Infos

Das ausführliche Interview „Mona Lisa lächelt” mit Universitätsprofessor Frank Zöllner finden Sie in: Alexander Schick, „Das wahre Sakrileg. Die verborgenen Hintergründe des Da-Vinci-Codes – Das Geheimnis hinter Dan Browns Weltbestseller”, Knaur 2006, S. 34-44, ISBN 3426779552.

 Professor Frank Zöllner ist seit 1996 Lehrstuhlinhaber für Mittlere und Neuere Kunstgeschichte an der Universität Leipzig . Er habilitierte sich über Leonardo da Vinci („Ausdruck und Bewegung bei Leonardo da Vinci”) und gilt als renommierter Experte in Sachen Leonardo. Von Prof. Zöllner erschien neben zahlreichen wissenschaftlichen Aufsätzen in Fachzeitschriften u. a. „Leonardo da Vinci 1452–1519. Sämtliche Gemälde und Zeichnungen” (Taschen Verlag, Köln 2003), das bislang detailreichste Buch über Leonardos Gemälde und Zeichnungen. 2005 veröffentlichte Prof. Zöllner eine umfassende Monographie zu Sandro Boticelli (Prestel, München). Um dem Leser zu ermöglichen, das Interview besser zu verfolgen, wurden die zitierten Passagen aus „Sakrileg” mit den entsprechenden Seitenangaben versehen.